Einprozent, IB und Bürger für Erfurt: Wer sind die neuen Rechten in Thüringen?
Nach der Kreuz-Aufstellung in Erfurt-Marbach fragen sich viele Leser: Wer sind diese Gruppen „Identitäre Bewegung“, „Einprozent“ und „Bürger für Erfurt“?
Wir geben einen Überblick über die auch in Thüringen aktiven und eng miteinander vernetzten rechten Gruppierungen.
Sie nennen sich Identitäre Bewegung, Einprozent oder Bürger für Erfurt. Doch was wollen sie eigentlich, wer steckt dahinter und wie finanzieren sie ihre Aktionen? Neue Dokumente, die Thüringen24 vorliegen, zeigen, wie sich die sogenannten Neuen Rechten organisieren, finanzieren und versuchen, an Einfluss zu gewinnen.
Identitäre Bewegung Thüringen kaum noch aktiv
Alle drei Gruppierungen sind in Thüringen aktiv, doch nur die Identitäre Bewegung (IB) wird bisher vom Verfassungsschutz beobachtet, obwohl es nach Thüringen24-Recherchen enge Verbindungen und ideologische Übereinstimmungen gibt.
Die älteste der drei Gruppierungen ist die Identitäre Bewegung. Seit 2016 wird sie in Thüringen vom Verfassungsschutz beobachtet, weil ihre Mitglieder eng in die rechtsextreme Szene verstrickt sein sollen. Auch bestehen Kontakte zur NPD. Öffentlich auf Facebook sind in letzter Zeit jedoch wenig Aktivitäten zu beobachten. Der letzte eigene Eintrag der Gruppe auf ihrer Facebook-Seite stammt von der Weihnachtsfeier am 28. Dezember 2016.
Nachdem zunächst lediglich einzelne Personen Aktivitäten im Namen der IB durchführten – Beispiele sind eine Sprühaktion vor dem Thüringer Landtag im Juni 2015 und eine Protestaktion gegen eine Asylbewerberunterkunft in Obermehler im Oktober des vergangenen Jahres –, lag die Teilnehmerzahl bei diversen IB-Veranstaltungen im Jahr 2016 im unteren zweistelligen Bereich, teilt der Verfassungsschutz auf Thüringen24-Anfrage mit. Das Thema Flüchtlinge bestimme einen Großteil der Aktivitäten. Dabei kämen für Rechtsextremisten typische Argumentationsmuster zum Tragen. „Eigenangaben nach geht die IB in Thüringen dazu über, Organisationsstrukturen zu etablieren“, so der Verfassungsschutz weiter. Viel davon zu sehen ist aber bislang nicht.
Die „Identitäre Bewegung“ beschreibt sich selbst als „patriotische Kraft“, die sich für „Heimat, Freiheit und Tradition“ einsetze. In Videos und Stellungnahmen auf Facebook warnen sie vor einer angeblichen Überfremdung und dem „Multikulti-Wahn“. Ursprünglich kommt die Organisation, die in Deutschland als Verein registriert ist, aus Frankreich. Ihr Symbol ist ein gelbes Lambda auf schwarzem Grund. Interne Papiere der IB belegen, dass sich die Gruppe zumindest teilweise über Gelder von Einprozent, einer von Götz Kubitschek mitgegründeten rechten Dachorganisation, finanziert.
Schnellroda als Knotenpunkt von Identitärer Bewegung und Einprozent
Kubitschek betreibt im Süden von Sachsen-Anhalt nicht nur den rechten Antaios-Verlag, sondern auch das sogenannte Institut für Staatspolitik, das zahlreiche Veranstaltungen zur Vernetzung der Neurechten-Szene organisiert. Bei der „Winterakademie“ des Instituts im Februar war auch einer der IB-Anführer aus Österreich, Martin Sellner, in Schnellroda dabei und tauschte sich mit Kubitschek aus.
Das Zielpublikum der Identitären Bewegung sind laut dem internen Strategiepapier, „junge, europäische Männer, die eine Gemeinschaft suchen, die ihnen Schutz bietet“.
Was will Einprozent-Initiative?
Schnellroda ist ebenfalls die Adresse von Einprozent. Neben Kubitschek wird diese Organisation unter anderen von Compact-Chefredakteur Jürgen Elsässer und Hans-Thomas Tillschneider, einem AfD-Abgeordneten aus Sachsen-Anhalt, sowie Karl Albrecht Schachtschneider unterstützt. Leiter dieser jungen rechten Dachorganisation ist Philip Stein. Der Einprozent-Leiter ist Mitglied der Marburger Burschenschaft Germania, der auch der Assistent von Thüringens AfD-Chef Björn Höcke, Torben Braga, angehört. Ein weiteres Mitglied dieser extrem rechten Verbindung ist ein Ex-Stützpunktleiter der NPD-Jugend JN. Doch was wollen Stein und die Einprozent-Organisation?
Laut ihrer Internetseite möchte die Initiative ein Prozent der deutschen Bevölkerung – also rund 800.000 Menschen – für juristische, mediale und politische Aktionen gewinnen. Schachtschneider hatte eine Klage gegen die Bundesregierung wegen ihrer Flüchtlingspolitik angestrengt, die aber vom Bundesverfassungsgericht abgewiesen wurde. Auf ihrer Karte sind mehr als 80 Gruppen eingezeichnet. Darunter auch solche, die nicht nur unter Verdacht des Verfassungsschutzes wegen ihrer rechtsextremer Ansichten beobachtet werden, sondern beispielsweise auch der Freundeskreis Niedersachsen/Thüringen, bei dessen Mitgliedern es kürzlich Hausdurchsuchungen gab. Hier wurden zahlreiche Waffen gefunden und sichergestellt. Eines der Hauptziele von Einprozent: rechte Gruppen miteinander vernetzen.
Warum beobachtet der Verfassungsschutz diese Gruppen nur teilweise?
Vom Thüringer Verfassungsschutz beobachtet wird die Einprozent-Initiative allerdings – im Gegensatz zur IB – bislang nicht. Gleiches gilt für die Gruppe Bürger für Erfurt, die bisher nur die Verhinderung einer Moschee im Erfurter Stadtteil Marbach als Thema hat. „Beide Gruppierungen sind asyl- und islamkritisch ausgerichtet. Ausmaß und Intensität reichen bisher aber nicht für eine nachrichtendienstliche Beobachtung aus“, teilt der Verfassungsschutz auf Anfrage von Thüringen24 mit. „Die Identitäre Bewegung Thüringen hat sich auf der Internetseite von Einprozent als regionale Gruppe registriert und teilt damit deren Ansichten. Die Identitäre Bewegung geht ideologisch und in ihrer personellen Zusammensetzung jedoch über Einprozent hinaus“, sagt ein Sprecher des Amtes für Verfassungsschutz weiter. Alle drei Gruppen setzen auf emotionale Videos, Bilder und Sprüche, wollen weg von dem angestaubten Image der NPD und anderen Rechtsextremisten. Sie wollen rechtes Gedankengut wieder „cool“ aussehen lassen, was sie besonders gefährlich macht.
Verbindungen zur AfD-Fraktion im Thüringer Landtag
Immer wieder bei Aktionen von Einprozent dabei: eine Gruppe junger Rechtsextremer aus Halle/Saale. Sie nennen sich selbst „Kontrakultur Halle“ und waren auch beim Aufstellen des Kreuzes in Erfurt-Marbach anwesend. Hilmar Steffen, Referatsleiter Rechtsextremismus beim Verfassungsschutz Sachsen-Anhalt, sagte gegenüber dem MDR, dass die Gruppierung punktuell personelle Überschneidungen mit rechtsextremistischen Bewegungen aufweise. Die Beteiligung von Kontrakultur in Erfurt gibt die Einprozent-Initiative in einer Mitteilung auf ihrer Homepage auch offen zu, genauso, dass Einprozent für die Finanzierung zuständig war und an der Protestaktion der Bürger für Erfurt teilgenommen hat. Laut Einprozent arbeiten die Bürgerinitiative und die Landtagsfraktion der Thüringer AfD eng zusammen, um den Moscheebau in Erfurt-Marbach zu verhindern.