„Es macht Spaß, die Familie wachsen zu sehen. Sie dabei zu begleiten, wie sie auch als Eltern geboren werden – das finde ich das Allerschönste“, schwärmt die Erfurterin Susan Küpper im Gespräch mit Thüringen24. Sie ist Hebamme mit Herz und Seele.
„Männer, die am Anfang ganz cool sind und superentspannt und dann zehn Monate später ihr Baby im Arm halten – und plötzlich sind sie so weich und zerbrechlich“, beschreibt die Erfurterin die schönsten Momente in ihrem Beruf. Wenn man Susan so zuhört, wird schnell klar, dass sie ihre Berufung mit Leib und Seele lebt. Doch ihr Job hat auch seine Schattenseiten. Die finanzielle Entlohnung und der bürokratische Hickhack, mit dem die gesamte Branche kämpft, sind gelinde gesagt eine Farce.
Erfurter Hebamme packt aus
Würdest du für sieben bis zehn Euro pro Stunde arbeiten gehen? Die Antwort lautet ziemlich sicher: Nein. Doch das ist für Hebammen, nicht nur in Erfurt und Thüringen, trauriger Alltag – zumindest für Freiberufliche. „Die Krankenkassen zahlen eine Pauschale von 40,37 Euro brutto pro Besuch“, erzählt Susan. Doch davon gehen Rentenversicherung, Pflichtrentenversicherung, Krankenversicherung, Qualitätsmanagement, Haftpflicht, der Beitrag für die Berufsgenossenschaft und je nachdem noch die Berufsunfähigkeitsversicherung ab. „Letztendlich kommen wir unter Mindestlohn. Im besten Fall haben wir davon zehn Euro“, macht die Hebamme deutlich.
Auch hier ist wieder die Pauschalisierung das große Problem. Denn besonders in den ersten Wochen (und besonders beim ersten Kind) dauern die Besuche einfach länger. „Gerade wenn das Kind krank ist, zum Beispiel die Neugeborenen-Gelbsucht hat, die Mama vielleicht Geburtsverletzungen hat, Bluthochdruck et cetera, es Probleme beim Stillen gibt, da dauert ein Besuch teilweise über eine Stunde“, erklärt Susan.
„Das kann man nicht pauschal in einer halben Stunde meistern“
Doch versuchen, die Aufenthalte bei den Familien zu verkürzen, kommt für die Hebamme nicht in Frage. „Gerade das Stillen ist eine unwahrscheinlich hohe Präventivarbeit. Ich würde mir ja nicht die Mühe machen, wenn ich nicht wüsste, was ich damit Gutes tue, wenn die Frau ins Stillen kommt“, macht die Erfurterin deutlich. Denn durch das Stillen wird für die Mutter das Risiko gesenkt, an Brustkrebs zu erkranken. Außerdem sinkt für die Babys das Allergierisiko und die Bindung zwischen Mama und Kind wird gestärkt. „Das kann man nicht pauschal in einer halben Stunde meistern“, sagt die Hebamme klipp und klar. Sobald ein Besuch eben länger als die 30 Minuten dauert, erwirtschaftet sie mit der derzeitigen Pauschale keinen Gewinn – oder eben nur einen mickrigen. Und dabei erledigt die Hebamme schon jeden Weg mit ihrem Rad. „Wir bekommen Wegegeld. Die Fahrtkosten werden teilweise bezahlt. Allerdings war auch hier die letzte Anpassung im Jahr 2017. Da waren natürlich die Benzinpreise noch ganz anders.“
Eine Familie, die die Erfurterin betreute, sei aufs Land gezogen. „Ich hab gesagt, ich betreue sie weiterhin. Allerdings war das im Winter und das konnte ich mit meinem Lastenrad nicht händeln … Doch die Kosten für ein Teil-Auto waren höher als das, was ich verdient habe … es ist absolut krank“, verdeutlicht sie die finanzielle Situation in der gesamten Hebammen-Branche.
Wir haben mit Susan Küpper auch über ihre Anstellung im Krankenhaus gesprochen. Warum sich die Lage dort ebenfalls zuspitzt und was sie für „puren Hohn“ hält, liest du hier:
+++ Erfurt: Albtraum statt Traumjob! Hebamme mit verzweifeltem Aufruf – „Purer Hohn“ +++
Ein Grund, warum Susan vor ein paar Jahren die komplette Freiberuflichkeit aufgegeben hat und in eine Art Mischform gewechselt ist. Seitdem ist sie auf 60-Prozent-Basis im Katholischen Krankenhaus Erfurt angestellt und arbeitet nebenbei „draußen“, wie sie es nennt. Das bedeutet: Ist für die Muttis im Wochenbett da und begleitet die frisch gebackene Familie oder Mama die ersten Monate nach der Geburt, Hilft beim Stillen, ist Ansprechpartnerin bei allen Fragen, Unsicherheiten, wiegt, misst, tastet ab. Für viele wird die Hebamme in dieser Zeit zu einem Familienmitglied oder zur Freundin auf Zeit (teilweise auch für immer).
Selbst wenn die Hebammen versuchen, effektiver zu arbeiten, also bei Kursen beispielsweise mehr Teilnehmer planen wollen, klappt es nicht. Denn: „Trotz der gestiegenen Miet- oder Energiepreise bei Kursen können nicht einfach mehr Paare einplanen, um einen finanziellen Ausgleich zu schaffen. Da sind wir durch die Gebührenverordnung auf zehn Frauen gedeckelt. Jede andere Person, die ähnliche Kurse gibt, sich aber nicht Hebamme nennt, darf es für sich planen wie sie möchte. Ebenso gilt das bei Stillberatungen, die auch einer sehr niedrigen Pauschale unterliegen. Ich muss als Hebamme diese Pauschale abrechnen. Stillberaterinnen, die vielleicht Krankenschwester, Ergotherapeut*in oder was auch immer mal gelernt haben, dürfen eigene Preise berechnen (ca 80- 120€/h). Das ist mehr als das doppelte was unsere Pauschale betrifft. Egal ob wir 30 Minuten oder 2 Stunden bleiben.“
Krankenkassen rauben der Erfurter Hebamme den letzten Nerv
„Unser Vorteil ist, wir haben ein ganz anderes Vertrauensverhältnis. Wir sind für die Mütter kontinuierlich erreichbar“, erzählt Susan. Doch so schön der Job auf der einen Seite auch ist, so nervenaufreibend kann er auch sein. Denn die Bürokratie und die Abrechnungen mit den Krankenkassen haben der Erfurterin schon den ein oder anderen Nerv geraubt. Bei den Berichten der Hebamme kann man bloß mit dem Kopf schütteln.
„Wie dich die Krankenkassen behandeln, ist eine Farce. Da schickt dir die Krankenkasse einen für 85 Cent frankierten Brief, weil sie dir drei Cent streichen. Und der Brief kommt gleich drei Mal – für drei verschiedene Mütter. Klar, dass die Krankenkassen kein Geld haben, wenn die so wirtschaften. Und das ist unser Alltag, so geht es stets und ständig“, macht sich die Erfurterin Luft.
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Immer wieder muss sie für eine Unterschrift erneut zu einer Mutter fahren – unbezahlt natürlich – weil zum Beispiel auf einem der Belege das Datum zu unleserlich war. „Die spielen echt mit uns, das ist das Allerschlimmste“, erzählt Susan frustriert. Deshalb sei sie zu einer Abrechnungszentrale für Hebammen (AZH) gewechselt. „Weil ich keinen Bock darauf habe, dass die dieses Schindluder mit mir betreiben“, so die Hebamme.
Trotzdem ist und bleibt es ihre Berufung. „Das Coole an der Hebammerei sind die großen Möglichkeiten. Du kannst total viel machen. Freiberuflichkeit, angestellt im Krankenhaus… aber es ist wirklich superschwierig, dass der Job rentabel ist“, gesteht die Erfurterin.
Deshalb haben sich jetzt die Hebammen aus ganz Deutschland zu einer Protestgruppe zusammengeschlossen, um nicht nur ihre Forderung klar und deutlich zu machen, sondern auch die Bundesregierung dazu aufzufordern, sich endlich dem Thema anzunehmen. >>HIER<< geht es zur Petition.