Neuer Schweineskandal: Muss Bauernpräsident Gumpert zurücktreten?
Schon wieder erschüttert ein Schweinezucht-Skandal Thüringen. Und wieder geht es um schwere Verstöße gegen den Tierschutz: unsachgemäße Ferkeltötung, zu kleine Kastenstände, verletzte Schweine. Das belegt am Freitag veröffentlichtes Material aus dem März 2015.
Besonders brisant: Die Vorwürfe der Tierschutzorganisation Animal Rights Watch treffen den Präsidenten des Thüringer Bauernverbands Helmut Gumpert. Er ist Vorsitzender der Schweinezucht Agrofarm Knau im Saale-Orla-Kreis. Grünen-Chef Rainer Wernicke fordert Gumperts Rücktritt. Erst kürzlich hatte Thüringen24 über schwere Verstöße und das Versagen der Behörden berichtet.
Die Szenen aus dem März 2015 sind äußerst brutal und grausam: Eine Mitarbeiterin schmettert ein neugeborenes Ferkel auf den Betonboden und lässt es dann zappelnd liegen. Mit dem vorgeschriebenen stumpfen Schlag gegen den Kopf und anschließenden Ausbluten hat das nichts zu tun. Helmut Gumpert räumte gegenüber dem MDR eine unsachgemäße Ferkel-Tötung in der Vergangenheit ein. Man habe aber Konsequenzen gezogen und die Mitarbeiter geschult.
Für Sandra Franz, Sprecherin von Animal Rights Watch, ist das zu wenig: „Wieder einmal versucht derjenige, der in einem Betrieb das Sagen hat, sich durch billige Bauernopfer aus der Verantwortung zu ziehen. Dabei ist klar, dass in einer Schweinezucht Angestellte nur dann unprofitable Ferkel auf dem Boden zerschmettern, wenn es dort gängige Praxis ist.“
Das Landratsamt Schleiz prüft derweil den Verdacht auf Tierschutz-Verstöße. „Wir gehen der Sache nach“, sagte die Sprecherin des Landratsamtes, Elisabeth Rau. Was das heißen kann, hat Thüringen24 erst kürzlich in dem Beitrag „Das Schweigen der Schweine – Wie betäubt sich Thüringer Behörden um den Tierschutz sorgen“ dokumentiert. Denn auch im Fall der Heideland Gutsverwaltung GmbH hatten schwere Tierschutzverstöße aus dem November 2015 für Aufsehen gesorgt. Eine Recherche zur Reaktion der Behörden führte aber in dichten Nebel: „Vor allem das Veterinäramt und die zuständige Aufsichtsbehörde mauern, schweigen, winden sich. Über Absichtserklärungen hinaus gilt das Gebot: Schiebe die Verantwortung auf deinen Nächsten, wie er sie auf dich schiebt.“
Rainer Wernicke, Landesvorsitzender der Grünen, forderte am Freitag via Twitter Gumperts Rücktritt von der Spitze des Thüringer Bauernverbandes. In einer Pressemitteilung teilte Grünen-Politikerin Babette Pfefferlein mit: „Die Kontrollstrategien auf Landes- und Bundesebene wirken genauso wenig wie die Mechanismen der Aus- und Weiterbildung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.“ Auch Pfefferlein kritisierte, dass „hochrangige Funktionäre ihrer Verantwortung als Schweinehalter in ihren eigenen Betrieben nicht angemessen nachkommen und die Schuld dann auch noch auf ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter abwälzen.“
Die Glaubwürdigkeit in Sachen Tierwohl leidet
Animal Rights Watch kritisierte aber auch die Haltung der Schweine. Auf Bildern, die im März 2015 entstanden, sieht man knöcheltief verkotetes Stroh und schwer verletzte Tiere. Kein Einzelfall: In der Schweinezucht der Heideland Gutsverwaltung GmbH hatten die Tierschützer im November 2015 ähnliche Verstöße dokumentiert.
Auch die Kastenstände und Abferkelboxen, in denen Sauen teilweise gehalten werden, sind erneut großes Thema. Schon in Heideland war auf Bildern deutlich zu sehen, dass Sauen ihre Gliedmaßen nicht ausstrecken können – anders als in der geltenden Verordnung vorgeschrieben. Die Bilder aus der Agrofarm Knau beweisen ebenfalls, dass es Sauen gibt, die viel zu groß für die entsprechenden Kastenstände sind.
Druck auf Ministerin Werner wächst
„Wenn der Thüringer Bauernverbandspräsident Gumpert vollmundig auf der Eröffnungsfeier der Grünen Tage Thüringen sagt, dass sich angesichts der Flüchtlingsproblematik niemand über ein paar abgeschnittene Schweineschwänze aufregen solle, ist es nicht verwunderlich, wenn die Glaubwürdigkeit der Branche in Sachen Tierwohl massiv leidet. Zudem zeigt dies deutlich die fehlende Ernsthaftigkeit in der Auseinandersetzung mit diesem Thema“, tobt Olaf Müller, landwirtschaftspolitischer Sprecher der Grünen. Und Tierschutzaktivistin Sandra Franz meint: „Die Zustände im Stall des obersten Tierhalters Thüringens sagen sehr viel über den generellen Zustand der Branche aus.“
Nach der erneuten Enthüllung dürfte auch der Druck auf Sozialministerin Heike Werner (Linke) wachsen. Ihr zuständiges Ministerium hatte bereits beim Skandal um das „Gut Thiemendorf“ in Heideland keine gute Figur gemacht und die Verantwortung einfach weitergereicht.
Galerie: Skandal in Thüringer Schweinezucht (Bilder von März 2015)
Das Foto- und Videomaterial ist Teil der bisher umfangreichsten Tierschutz-Filmrecherche Deutschlands. Animal Rights Watch liegt weiteres Material von Präsidenten und Vizepräsidenten, Vorsitzenden und Vorständen des Deutschen Bauernverbands (DBV), des Zentralverbands der Deutschen Schweineproduktion (ZDS), des Zentralverbands der Deutschen Geflügelwirtschaft (ZDG), der Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft (DLG) und der Interessengemeinschaft der Schweinehalter Deutschlands (ISN) vor.
„Die Bilder beweisen, dass es sich bei den Tierhaltungs-Skandalen der letzten Jahre keineswegs um Einzelfälle handelt“, sagt Erasmus Müller von Animal Rights Watch. „Im Gegenteil: Die grausame Realität der deutschen Tierhaltung wird seit Jahren von namhaften Vertretern der Tierproduktionslobby aus rein wirtschaftlichem Eigeninteresse geleugnet und schöngeredet.“ (mit Material von dpa)