Gerhard Altenbourgs Wohnhaus – ein einziges Kunstwerk
In seinem Haus in Ostthüringen hat sich der Grafiker Gerhard Altenbourg über Jahrzehnte ein Refugium geschaffen. Hier lebte und arbeitete er umgeben von Kunst und Literatur. Heute bietet es als Gesamtkunstwerk Einblick in ein eindrucksvolles Künstlerleben.
Noch bevor sie die Haustür öffnet, zeigt Inge Grimm zu Boden. Den Fußabtreter aus Metall ziert in runden Buchstaben die Inschrift „ora et labora“ (bete und arbeite). „Den hat Gerhard Altenbourg selbst gestaltet“, erklärt die Kunsthistorikerin. Es ist nur eines von unzähligen Details, die dieses Haus in Altenburg zu einem Gesamtkunstwerk machen. Hier hat der Maler und Grafiker, der am Dienstag 90 Jahre alt geworden wäre, fast sein ganzes Leben verbracht. Und hier hat er sich in jedem Winkel künstlerisch verewigt: vom Lichtschalter über Türrahmen und Wände, Schlüssel und die Aufhängung von Regalen bis zur Verkleidung von Rohren und der Toilettentür.
Grimm, die seit fast zwei Jahren Altenbourgs Nachlass aufarbeitet, führt einige Treppenstufen hinauf. „Das hier war sein sogenanntes Atelier, obwohl er hier nie gearbeitet hat.“ Denn in sein richtiges Arbeitszimmer eine Etage höher habe er nur wenige Besucher gelassen. Vielmehr diente dieser mit Messingarbeiten und einem Triptychon im goldenen Rahmen gestaltete Raum dazu, Gäste zu empfangen. Und obwohl Altenbourg (1926-1989) vor mehr als 25 Jahren durch einen Autounfall aus dem Leben gerissen wurde und seine Schwester Anneliese bis 2013 im Haus wohnte, sieht das Zimmer noch fast so aus wie auf Fotos, für die der Künstler einst hier posierte.
Den Namen der Stadt angenommen
Seine Eltern waren 1929 nach Altenburg gezogen. Den Namen der Stadt nahm er – eigentlich Gerhard Ströch – später in verfremdeter Form an. Das in den 1930er Jahren erbaute Haus wurde bis zu seinem Tod Wohn-, Arbeits- und Rückzugsort. Denn während seine vielschichtigen Zeichnungen und abstrakten Drucke im Westen auf Bewunderung stießen, wurde er von der offiziellen DDR-Kulturpolitik nicht anerkannt. Von seinem Haus aus verfolgte er die Entwicklungen in Politik und Kunst auch jenseits des Eisernen Vorhangs über Bekannte im Westen, die ihn mit Büchern und Zeitungsausschnitten versorgten. „Die Weite seines Geistes und die Enge dieses Hauses sind ein starker Gegensatz“, meint Roland Krischke, Direktor des Lindenau-Museums.
An das vor allem wegen seiner Sammlung frühitalienischer Malerei weithin bekannte Haus ist die Altenbourg-Stiftung angegliedert. Sie wurde nach dem Tod von Anneliese Ströch neu konstituiert und pflegt das Künstlerhaus und den Nachlass. Krischke spricht von einem immensen Schatz: „Das hier ist im positiven Sinn ein Fass ohne Boden.“ Altenbourg sei zwar einer der großen Künstler des 20. Jahrhunderts, aber in der Rezeption seines Werkes gebe es noch viel Luft nach oben. Denn seine Arbeiten sind vielschichtig, mitunter sperrig.
Authentischer Ort
Zum Nachlass gehören ein Bestand von gut 5000 Grafiken, die Ausstattungsgegenstände im Haus samt Arbeiten anderer Künstler wie Carl Seffner, Erich Dietz oder Hermann Glöckner sowie rund 10 000 Briefe und Altenbourgs Bibliothek. All das wird seit 2015 intensiv erfasst und soll künftig auch digital zugänglich sein.
„Das Haus samt Garten als authentischer Ort sind sehr wichtig, um zu verstehen, wie Altenbourg gearbeitet hat“, sagt die Kuratorin der Grafischen Sammlung am Museum Ludwig in Köln, Julia Friedrich. „Bei ihm gab es keine Trennung zwischen Leben und Kunst. So hat er sich mit den Zeichnungen und den Welten, die auf dem Papier entstanden sind, täglich umgeben.“ Das Besondere an Altenbourg sei seine ganz singuläre künstlerische Position. „Er hat in seinen Arbeiten eine eigene Welt geschaffen, die sehr versponnen bis skurril ist.“ Da gebe es noch viel zu entdecken und zu erforschen.
Haus als Gesamtkunstwerk
Genau das hat sich die Gerhard-Altenbourg-Stiftung auf die Fahnen geschrieben. „Wir haben die Verpflichtung, das Haus zu öffnen“, betont Krischke. Zunächst müsse aber das Inventar und der Nachlass weiter erfasst und ein denkmalpflegerisches Gutachten für das Haus erstellt werden. Bis Grimm also regulär Besuchern die Tür öffnen und kleine Gruppen durch Atelier, Grünen Salon, Altenbourgs Arbeitszimmer und seine Bibliothek führen kann, dürften noch Jahre vergehen.
Um das Haus als Gesamtkunstwerk dennoch stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu rücken, wird es zumindest indirekt in eine Schau zum 90. Geburtstag Altenbourgs am Lindenau-Museum einbezogen. Neben hochkarätigen Arbeiten aus einer Schenkung des Ehepaars Pfäffle aus Baden-Württemberg sollen dann auch Exponate und Fotos zu Altenbourgs Wohnhaus im Museum gezeigt werden. Die Ausstellung „Altenbourg in Altenburg“ ist vom 4. Dezember bis 5. März zu sehen.