„Unsere Geduld ist überstrapaziert“: Tiefurt diskutiert über Weimars Ortsumgehung
Staatssekretär Sühl und Bundestagsabgeordneter Schneider diskutieren mit Tiefurt
Grund ist Weimars geplante Ortsumgehung, die durch Tiefurt führen soll
Die Tiefurter sind sauer. Sonst wären wohl kaum mehr als 80 Bürger in den Vereinsraum gekommen. Ortsteilbürgermeister Jörg Rietschel (SPD) zeigt sich überrascht: „Ich hätte nicht gedacht, dass in der Ferienzeit so viele kommen.“
Projekt wird schon lange diskutiert
Eingeladen hat Rietschel selbst, und zwar wegen eines Themas, das seit Jahrzehnten die Weimarer Gemüter beschäftigt. Es geht erneut um die Ortsumgehung, die den Verkehr der B7 aus der Friedrich-Ebert- und Jenaer Straße herausbringen soll. Sogar der Staatssekretär für Infrastruktur und Landwirtschaft, Klaus Sühl, und der Weimarer Bundestagsabgeordnete Carsten Schneider (SPD) sind der Einladung gefolgt, um mit den Bürger zu diskutieren.
Bildergalerie: Tiefurt diskutiert über die Ortsumgehung für die B7
Das Dilemma: Die lange diskutierte Ortsumgehung der B7 wurde im neuen Bundesverkehrswegeplan als vordringlicher Bedarf eingestuft und es wurden Gelder für das Projekt bereitgestellt. Nun könnten Planung und Bau eigentlich losgehen. Aber die angemeldete Vorzugsvariante der Straße soll direkt durch Tiefurt führen. Das wiederum bringt die Tiefurter auf die Palme. Und die wehren sich mit allen Mitteln.
Mit Park und Siedlung gegen die Trasse
Bereits beim Vororttermin hatte Rietschel Tiefurts Charme spielen lassen und dem Staatssekretär etliche Gründe angeführt, die gegen die Trasse sprechen: von der neugebauten Einfamilienhaussiedlung am Glockenbecherweg über die ruhige Lage des Ortsteils als Naherholungsgebiet bis zum malerischen Ortskern. Sogar auf den Faulturm der örtlichen Kläranlage stieg Rietschel mit seinen Gästen, um die Dimensionen der geplanten 18 Meter hohen und 450 Meter langen Brücke der Trasse zu demonstrieren.
Die Argumente gegen die Ortsumfahrung durch Tiefurt findest du hier:
Auch die Bürger kennen alle diese Gründe. In der Scheune hat sich kein tobender Mob versammelt, sondern eine Mischung aus Interessierten, Besorgten und vor allem gut Informierten. Von wenig Durchgangsverkehr und viel Quell-Ziel-Verkehr ist da die Rede, von der Zerschneidung einer Kulturachse, von rückläufigen Verkehrszahlen und auch, vielleicht etwas selbstverliebt, vom Kleinod Tiefurt und der Weltstadt Weimar. Klar ist jedoch: Diese Menschen lehnen die Trasse nicht nur ab, weil sie vor ihrer Haustür entlangführt. Ihre Argumente werden von zahlreichen Fakten untermauert.
Möglichkeiten prüfen statt sich festlegen
Auf dem Podium versuchen die Redner vor allem zu beruhigen. „Wir haben jetzt die Möglichkeit, uns intensiv mit dem Projekt zu beschäftigen und die Varianten zu untersuchen“, so Staatssekretär Sühl. Er plädiert dafür, zunächst ein neues Raumordnungsverfahren zu initiieren, da der alte Plan noch aus den 1990ern stamme und viele neue Aspekte, wie die neue Siedlung oder ein neues Vogelschutzgebiet, nicht berücksichtige. Das werde zwei bis drei Jahre dauern. Doch der Staatssekretär bleibt skeptisch, ob es andere Verlaufsmöglichkeiten gibt. „Entweder es wird die Variante 1 oder gar nichts.“
So soll Variante 1 der Ortsumgehung verlaufen:
„Ich bin enttäuscht von Ihnen!“
Ähnlich will es auch Carsten Schneider verstehen: „Keiner wird eine Trasse bauen, die Weimar nicht will.“ Doch die Beruhigungen kommen beim Publikum nicht an. Etliche Redebeiträge der Anwohner drücken den Unmut und die Unzufriedenheit aus, meist mit zahlreichen Fakten unterfüttert, immer gibt es Szenenapplaus für die Bürger. Besonders Schneider muss sich einige Vorwürfe anhören: „Sie widersetzen sich Weimars Wunsch!“, „Ich bin enttäuscht von Ihnen, Herr Schneider!“ und „Sie machen politische Geschenke“.
„Zombie-Diskussion beenden“
Sven Steinbrück, Vorsitzender des Weimarischen Bau- und Umweltausschusses, springt seinem Parteigenossen jedoch bei. Auch er fühlt sich missverstanden, hatte er Schneider doch um die Aufnahme des Projektes in den Bundesverkehrswegeplan gebeten. „Wir führen seit 15 Jahren eine Zombie-Diskussion ohne Fortschritt. Wollt ihr euer Leben lang gegen die Umgehung kämpfen müssen?“, fragt Steinbrück. Auch er ist gegen die Variante 1 durch Tiefurt, doch erhofft er sich von der Untersuchung eine endgültige Klärung der Angelegenheit. „Es muss endlich eine Entscheidung her!“, so Steinbrück.
Karte: Die Varianten 1 und 3+ für die geplante Ortsumgehung Weimar
Für die Ortsumgehung Weimar sind mehrere Varianten im Gespräch. Am wahrscheinlichsten sind die Varianten 1 (schwarz) und 3+ (blau). Deren etwaigen Verlauf haben wir hier dargestellt. Es handelt sich dabei um eine grobe Orientierung, die detaillierten Verläufe sollen erst ausgearbeitet werden.
„Politisch nicht umsetzbar“
Die Tiefurter bringen viele Argumente erneut vor, die schon seit Langem auf dem Tisch liegen und doch brandaktuell sind. Besonders Ortsteilbürgermeister Rietschel redet sich in Rage. „Unsere Geduld ist überstrapaziert!“, schimpft er. Keiner der Politiker glaubt jedoch, dass die Trasse kommt. „Ich halte die Variante 1 für politisch nicht umsetzbar“, so Schneider. Sühl sagt, man werde bis 2030 zuerst die unstrittigen Projekte im Land umsetzen. Er mahnt aber auch, Thüringen brauche gute Argumente, um das Geld vom Bund abzulehnen, sonst mache sich der Freistaat unglaubwürdig.
Weiter warten heißt die Devise
Am Ende der Veranstaltung greift Sühl den Vorschlag eines Tiefurter Bürgers auf, Ende des Jahres einen informellen Expertengesprächskreis auf ministerieller Ebene ins Leben zu rufen. Auch ruft er die Anwohner auf, ihre Meinung in die Stadtpolitik hineinzutragen, denn der Stadtrat solle sich nun eindeutiger positionieren. Schneider sieht den Ball aber auch beim Land. Wie es weitergeht, bleibt daher ungewiss. Die Tiefurter Bürger scheinen nach dem Gespräch alles andere als beruhigt – und müssen weiter warten. Sühl sagt noch: „Wir haben es nicht eilig.“