Das Schweigen der Schweine: Wie betäubt sich Thüringer Behörden um den Tierschutz sorgen
Die Geschichte der vergessenen Schweine von Heideland beginnt im Dunkel. In der Nacht vom 13. auf den 14. November 2015 dokumentieren Tierschützer die Zustände in der Zuchtanlage bei Eisenberg. Aus den Bildern grunzt das Grauen: Sauen bluten, während sie in schmalen Boxen fast bewegungsunfähig fixiert sind, Ferkel saugen neben verwesenden Kadavern an den Zitzen ihrer Mutter, Schweine fressen ihre sterbenden Artgenossen an.
Wie konnte es soweit kommen, in einem Land, das den Tierschutz im Grundgesetz verankert und damit zum Staatsziel erhoben hat?
Video: Hier wird ein Ferkel angefressen – während es stirbt (November 2015)
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Der Vorwurf ist nicht neu: Behörden ahnden Verstöße zu lasch, handeln gar nicht oder kehren das Wohl der Tiere zugunsten wirtschaftlicher Interessen der Züchter unter den Teppich. Gleich zweimal, 2013 und 2015, filmt der Verein Animal Rights Watch deshalb in der Ferkelfabrik „Gut Thiemendorf“ in Heideland. Dort züchtet die Gutsverwaltung GmbH etwa 9000 Sauen dänischer Genetik. Tierschutz-Aktivistin Sandra Franz bellt im Juli 2016 in einer Mitteilung: „Seit Jahren wird das Leid tausender Tiere in dieser Anlage für die Öffentlichkeit dokumentiert. Aber es gibt weiterhin massive Verstöße.“
Es geht also um die Frage, wie die Behörden spätestens seit November 2015 agiert haben, um Verstöße gegen den Tierschutz zu ahnden und abzustellen. Thüringen24 gerät bei der Suche nach Antworten in dichten Nebel. Vor allem das Veterinäramt und die zuständige Aufsichtsbehörde mauern, schweigen, winden sich. Über Absichtserklärungen hinaus gilt das Gebot: Schiebe die Verantwortung auf deinen Nächsten, wie er sie auf dich schiebt. Der lachende Dritte: Schweinezüchter, die sich auf Kontrollen der Behörden und eine unklare Rechtslage berufen. Der gequälte Vierte: die Schweine.
Große Schweine, kleine Boxen: Was nun?
Streit gibt es vor allem um die sogenannten Kastenstände und Abferkelboxen. 44 Prozent ihres Lebens, so hat es Animal Rights Watch ausgerechnet, vegetiert eine Zuchtsau rund um Befruchtung und Geburt in diesen Boxen – fixiert oder bewegungsunfähig. In der entsprechenden Verordnung heißt es: „Kastenstände müssen so beschaffen sein, dass 1. die Schweine sich nicht verletzen können und 2. jedes Schwein ungehindert aufstehen, sich hinlegen sowie den Kopf und in Seitenlage die Gliedmaßen ausstrecken kann.“ Auf diese schwammige Formulierung stützt sich auch die Heideland Gutsverwaltung. Rechtsanwalt Dr. Konstantin Bertram weist im Namen der Schweinezüchter auf einen „erheblichen Auslegungsspielraum“ hin.
Allerdings hat das Oberverwaltungsgericht Magdeburg in einem anderen Fall kürzlich wegweisend entschieden: Die Breite eines Kastenstandes ist nur dann ausreichend, wenn sie mindestens der Höhe des Tieres entspricht. Auch die Auslegungshinweise zur Verordnung lesen sich konkreter. „Als Mindestmaße gelten bundesweit Kastenstandsweiten von 65 cm für kleinere Sauen sowie 70 cm für ältere Sauen“, stellt das zuständige Thüringer Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie klar. Und weiter: „Diese Maße sind Richtmaße. Im Einzelfall muss der Kastenstand der Größe der Sauen entsprechen.“
Genau darum geht es: Animal Rights Watch misst in Heideland auch Weiten von nur 60 Zentimetern. „Die Kastenstände entsprachen nicht in jedem Fall den gesetzlichen Anforderungen“, gibt auch das zuständige Veterinäramt Saale-Holzland zu. „Ein laufendes verwaltungsrechtliches Verfahren dazu wurde eingeleitet, ist aber noch nicht abgeschlossen.“
Das wirft Fragen auf, denn die Kastenstände sind fest verbaut und können nicht verstellt werden. 2010 legt die Heideland Gutsverwaltung erstmals Umbaupläne der zuständigen Behörde vor, diese nimmt 2011 die Anlage auch als rechtskonform ab. Damals wie heute zuständig: der Zweckverband Veterinär- und Lebensmittelüberwachungsamt Saale-Holzland. Fünf Jahre später sieht er nun die Kastenstände als Anlass für ein Verfahren. Wie passt das zusammen? Zumal auch 2014 in einem Protokoll vermerkt ist, „das Management der Anlage (…) ist nicht zu beanstanden“.
„Mindestmaße sind nicht für alle Sauen passend“
Fragen danach ignoriert die Behörde in Stadtroda hartnäckig und verweist auf das laufende Verfahren. Dabei wollte Thüringen24 vor allem wissen, wann sie Verstöße festgestellt und bestimmte Verfahren eingeleitet hat. Das Veterinäramt aber verweigert Antworten, wenn es um konkrete Zeitpunkte geht. Für die öffentliche Beurteilung des Schweineskandals ist es aber relevant, wie schnell die Behörde nach den Vorwürfen reagiert hat. Warum also mauert das Veterinäramt? Handelt es zahnlos und zu langsam?
Bildergalerie: Die Ferkelfabrik in Heideland
Wer es wissen müsste: die Fachaufsichtsbehörde der Thüringer Veterinärämter. Aber auch das Landesamt für Lebensmittelsicherheit und Verbraucherschutz wäscht seine Hände in Unschuld. „Es gibt keine rechtlich verbindlichen Mindestmaße für die Kastenstandsbreiten, sondern fachliche Orientierungshilfen“, teilt Verena Meyer, Leiterin des Präsidialstabs mit. Damit müsse man Einzelfallentscheidungen treffen. Die Einhaltung dieser Einzelfälle, so sieht es das Landesamt, obliegt in diesem Fall dem auskunftsfreudigen Veterinäramt Saale-Holzland. Dessen kommissarische Amtsleiterin Steffi Thomsen-Mertens spielt den Ball weiter zum Sozialministerium, das herausgegebene Empfehlungen relativiert und auf Einzelfallentscheidungen hingewiesen habe. Ministeriumssprecher Daniel Steiner verweist seinerseits auf „fachliche Orientierungshilfen“, in denen es heißt: „Die in den Auslegungshinweisen genannten Mindestmaße sind nicht für alle Sauen passend.“ Bei größeren Tieren seien entsprechend breitere Stände notwendig.
An dieser Stelle endet die Behördenkette. Aber was passiert denn nun, wenn zu große Sauen in zu kleine Kasten gepresst werden? Die Antwort des Ministeriums auf eine kleine Anfrage im Jahr 2015 liest sich wie aus einer Zeit, als das Wünschen noch von der Wirklichkeit bestätigt wurde: Es liege in der Verantwortung der Tierhalter, dafür zu sorgen, dass auch großen Sauen genügend Platz zur Verfügung steht.
Oberbürgermeister Schröter: Keine Antwort
Das kann man so sehen. Man kann es aber auch sehen wie der Berliner Rechtsanwalt Rolf Kemper, der 2006 in einem Gutachten schreibt: „Amtstierärzte müssen immer handeln, wenn in ihrem Zuständigkeitsbereich Verstöße gegen das Tierschutzrecht begangen wurden, noch werden oder bevorstehen.“ Das ist bemerkenswert, denn damit wäre das Veterinäramt verpflichtet, auch künftige Verstöße zu unterbinden und hätte bei fest verbauten Kastenständen schon 2011 einschreiten können. Vorausgesetzt natürlich, es gab schon damals große Sauen.
Auch der Göttinger Rechtsanwalt Dr. Konstantin Leondarakis betont 2011 in einem Gutachten, die Behörde müsse präventiv tätig werden, „wenn in absehbarer Zeit mit Wahrscheinlichkeit ein tierschutzwidriger Vorgang zu erwarten ist.“ Das Veterinäramt verweigert dazu die Auskunft. Und als wäre das eine unzumutbare Frage an das Orakel von Delphi, heißt es aus dem Landesamt: „Die Einschätzung einer Wahrscheinlichkeit von Verstößen nehmen wir nicht vor.“ Gutachter Leondarakis weist aber ausdrücklich darauf hin, dass die Behörde „den hypothetischen Geschehensablauf bei unterstelltem Nichteinschreiten“ berücksichtigen müsse.
Bildergalerie: Die Schweinezucht im November 2015
Thüringen24 hat einen weiteren Beteiligten um eine Stellungnahme im Schweinezucht-Skandal gebeten: Dr. Albrecht Schröter, Vorsitzender des Zweckverbandes Lebensmittel- und Veterinäramt Saale-Holzland – und Oberbürgermeister der Stadt Jena. Aber auf eine Anfrage per E-Mail antwortet er wochenlang gar nicht. Immerhin richtet seine Sekretärin auf telefonische Nachfrage zweimal aus, die Mail sei angekommen.
Gut Thiemendorf: 14 Widersprüche
Untätig sind die Behörden nicht. Dreimal kontrolliert das Veterinäramt in Stadtroda im Jahr 2016 die Heideland Gutsverwaltung. Konkrete Rückfragen will das Amt aber nicht beantworten – mit Verweis auf laufende Verfahren und die Interessen des Tierhalters. Erst nach erneuter Rückfrage ringen sich die Veterinäre zu allgemeinen Angaben durch: „Es sind strafrechtliche Ermittlungsverfahren anhängig, als auch Bußgeldverfahren.“ Weitere Auskünfte zu genauen Zeitabläufen, wann Verstöße festgestellt und wann auf welcher Grundlage Verfahren eingeleitet wurden, verweigert das Amt.
Als TH24 per Einschreiben erneut um Auskunft bittet, schickt die kommissarische Amtsleiterin Steffi Thomsen-Mertens ein zweiseitiges Schreiben und 16 Anhänge. Darunter sind Checklisten und Richtlinien, die wohl dokumentieren sollen, wie umfangreich und detailliert die Vorgaben bei Kontrollen sind. Unbestritten, der Aufwand ist riesig. Nach Angaben des Veterinäramtes sind bei einer Kontrolle in Heideland 15 Personen notwendig, dazu kommt noch der nachgelagerte Verwaltungsaufwand.
Was Verstöße und Verfahren betrifft, bleibt auch Thomsen-Mertens vage: „In den letzten Jahren wurden über 30 Verwaltungsverfahren und mehrere Straf- beziehungsweise Bußgeldverfahren eingeleitet. Gegen die Verwaltungsverfahren wurden zum Großteil Rechtsmittel eingelegt.“ Diese müssten noch bearbeitet werden – unter anderem vom Landesamt.
Das ist erstaunlich, hatte die Aufsichtsbehörde gerade erst mitgeteilt, sie könne sich zum Stand der Verfahren nicht äußern, da diese das Veterinäramt Saale-Holzland eingeleitet habe. Erst nach erneuter Rückfrage schreibt eine Sprecherin knapp: „Zur Heideland Gutsverwaltung sind 14 Widerspruchsverfahren anhängig, davon beziehen sich 11 Verfahren auf den Standort Heideland.“ Und weiter: „Aufgrund der angespannten Personalsituation in diesem Bereich beträgt die derzeitige durchschnittliche Bearbeitungszeit drei Jahre.“ Was vor allem das Sozialministerium erkennen müsste: Eine Aufsichtsbehörde mit diesen Möglichkeiten ist eher Teil des Problems, statt Teil der Lösung.
„Keine gravierenden Verstöße“
Während der Abschluss eines Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft Gera noch nicht absehbar ist, beginnt ein anderes Verfahren in gut zwei Wochen. Am 26. September verhandelt das Amtsgericht Stadtroda Verstöße der Gutsverwaltung gegen das Tierschutzgesetz und die Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung. Festgestellt hatte diese das Veterinäramt Saale-Holzland. Unklar ist nur, wann.
Eine ganz exklusive Auffassung vertritt die QS GmbH aus Bonn, die erstmals vor 15 Jahren der Heideland Gutsverwaltung das Gütesiegel „QS – Qualität und Sicherheit“ verliehen hat und den Betrieb nach eigenen Angaben regelmäßig überprüft. „Wir konnten bei unseren Audits keine gravierenden Verstöße gegen Tierschutzanforderungen feststellen“, richtet Sprecherin Caroline Thiesmeier aus.
Aber die Sau leidet, das Ferkel stirbt – und überall ist Stille. Das Verfahren, geduldig. Die verantwortliche Behörde, eine andere. Die Schweine, mit Händen vor den Augen vergessen. Die Geschichte endet, wie sie begann – im Dunkel.