Der Marktplatz im beschaulichen Arnstadt wird an diesem Mittwoch (20. August) von der Politik regelrecht geflutet. In Reih und Glied haben sich die Landesverbände mit ihren Ständen um den Hopfenbrunnen herum verteilt – die heiße Phase vor der Thüringen-Wahl ist eingeläutet. Mit am Brunnen steht der starke Mann der FDP in Thüringen, Thomas Kemmerich. Obwohl – oder gerade weil – ihn das Bundespräsidium vor die Tür gesetzt hat, hat er große Ambitionen im Freistaat.
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Thomas Kemmerich polarisiert, daran besteht kein Zweifel. Vor mehr als vier Jahren, am fünften Februar 2020, löste er mit seiner Wahl zum Ministerpräsidenten eine Regierungskrise aus. Dank Zuspruch der AfD entthronte er Bodo Ramelow – mit 45 zu 44 Stimmen. Ein Unding für die alt eingesessenen Parteien, auch für die Bundes-FDP. Der Druck auf den Mann, der einen „Pakt mit Faschisten“ eingegangen sei, wurde immer größer. Seine Familie sei bedroht worden und auch die Regierungsfindung war ein hoffnungsloses Unterfangen, sodass er nur drei Tage später seinen Rücktritt erklärte.
Thomas Kemmerich trotzt bei der Thüringen-Wahl Christian Lindner
1.670 Tage später will er erneut in den Landtag einziehen, zum Unmut von Christian Lindner. „Christian Lindner wollte eher, dass ich in den politischen Ruhestand gehe. Aber das wird nicht in Berlin entschieden, sondern hier vor Ort durch meine Familie und durch mich persönlich und insbesondere durch die Thüringer FDP“, so Kemmerich. Letztere ernannte ihn im Oktober 2023 einstimmig zum Spitzenkandidaten für die Thüringen-Wahl 2024. Kemmerich nahm die Wahl mit breiter Brust an. Jene breite Brust hat er noch immer, obwohl die jüngsten Umfragen vernichtend klingen. Sie sehen die FDP teilweise unter drei Prozent.
„Die Thüringer wissen, dass sie mit Thomas Kemmerich jemanden haben, der seit 34 Jahren Unternehmer und Vater von sechs Kindern ist. Die Leute suchen, gerade in Zeiten einer solchen aufgewühlten Politiklandschaft, nach Menschen, denen sie vertrauen können. Ich glaube, das kann ich erfüllen. Viele haben auch gesagt, dass ich im Fernsehduell in der letzten Woche als Stärkster aufgefallen bin. Daraus ziehe ich meinen Optimismus.“
Thomas Kemmerich, Spitzenkandidat der FDP, im Interview mit unserer Redaktion
Sein Optimismus wird auch nicht dadurch getrübt, dass es für seinen Wahlkampf keinen Cent aus der Bundeskasse gibt. Mit dem „harten Cut“ mit dem Bundesvorstand habe er sich abgefunden. „Groll“ schiebe er nicht. Die Entscheidung findet er trotzdem befremdlich. „Ich kann nicht verstehen, dass die Bundespartei da Unterschiede macht. Jeder Wahlkampf eines liberalen Verbandes ist ein Wahlkampf der Gesamtpartei.“ Man habe aus der Not eine Tugend gemacht und den Wahlkampf auf Spenden gestützt. Bis zum 20. August seien so 600.000 Euro zusammengekommen.
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Auch die persönliche Unterstützung aus Berlin bleibt aus. Während Merz, Wagenknecht und Co. ihre Spitzenkandidaten vor der Thüringen-Wahl auf die Bühnen des Landes begleiten, lässt sich keines der führenden FDP-Gesichter blicken. „Ich werde oft gefragt, ob ich politische Prominenz aus Berlin brauche. Ich sage: In Thüringen bin ich prominent genug – in aller Bescheidenheit – und da setzen wir an. Wir brauchen keine Unterstützung, wir bekommen das hin. Wir krempeln die Ärmel hoch“, kontert Kemmerich.
Kemmerich: „Dann wandern sie lieber zur FDP“
Zurück zu seiner Ambition im Freistaat: Am Acht-Prozent-Ziel, welches er bei der Vorstellung des Wahlprogramms zur Thüringen-Wahl proklamierte, hält er nach wie vor fest. Ein Grund: dubiose Koalitionsspielchen der CDU. „Viele sind nicht damit einverstanden, dass die CDU nach links schielt, also in Richtung BSW. Sie wollen nicht mit Links zusammenarbeiten – egal ob in Form der Linken 1.0 oder 2.0. Die CDU ist eine konservative Kraft und wenn sie ihren Weg verlässt, dann wandern sie lieber mit ihrer Zweitstimme zur FDP.“
Der „Fels in der Brandung für bürgerliche Politik“ sei daher die FDP. Was genau Kemmerich damit meint, erklärt er mit zwei Beispielen: „Wir legen Wert auf ein klassisches Bildungssystem, welches die jungen Leute auf das Leben vorbereitet. Wir verstehen den Mittelstand und wissen, dass die Bürokratie eine Schlinge um den Hals ist, die sich immer enger zieht.“
Als eine Schlinge um den Hals der Demokratie sehen viele das Erstarken der AfD. Das stupide „in die Ecke stellen“ der Landesregierung trägt für Kemmerich seinen Teil dazu bei.
„Dieses permanente Stigmatisieren und sie einfach nur als gesichert rechtsextrem zu beschimpfen, das beeindruckt die Leute überhaupt nicht. Wir hätten uns viel früher inhaltlich mit dem Konzept auseinandersetzen müssen. Wir müssen die Probleme klein machen, die die AfD groß macht. Man merkt ja, wie schnell der Vertreter der AfD unsicher wird, wenn man ihn inhaltlich zur Rede stellt. Wenn wir ihn mit den Problemen in Thüringen konfrontieren, zum Beispiel mit dem Schulausfall, dann kommt keine Antwort – obwohl er Lehrer ist. Der schwafelt immer nur etwas von Migration und Grenzen schließen. Und wenn man dann fragt, was er mit Remigration meint, kommt als Antwort, wenn er alleine ist, dass er 20 bis 30 Prozent der Leute aus Deutschland herausschmeißen will. Dann ist hier Feierabend. Dann gibt es hier kein Krankenhaus mehr, keine Servicekräfte mehr, dann ist wirklich Schluss.“
Thomas Kemmerich, Spitzenkandidat der FDP, im Interview mit unserer Redaktion
Auch deswegen brauche es eine starke FDP, um ein solches Worst-Case-Szenario zu verhindern. Dass man vor allem Straftäter abschieben und illegale Migration unterbinden müsse, damit sei er vollkommen d’accord. Doch gut integrierte Leute, die den Großteil derer ausmachen würde, die ein Dorn im Auge von Höcke seien, brauche das Land.
FDP könnte von Ampel-Aus profitieren
Was das Land aber nicht mehr brauche, ist ein weiteres Jahr Ampel. Auf die Frage, ob der neue Haushaltskompromiss die Ampel retten könne und Deutschland die Regierung weiterhin vertrage, gibt es von Kemmerich ein „klares Nein“. „Gefühlt ist es ja schon der 20. Kompromiss und der wird ja immer weniger glaubhaft. Robert Habeck, der mit den fehlenden Milliarden im Haushalt konfrontiert wird, stammelt herum und gibt zu, dass man sie nicht gefunden hat. Das ist doch nicht das, was die Leute in dieser krisengeneigten Situation brauchen. Sie brauchen Vertrauen. Ich glaube, wir als FDP würden sogar gefeiert werden, wenn wir das Trauerspiel beenden.“
Christian Lindner habe schon einmal eine Koalition platzen lassen – besser nicht regieren, als falsch regieren. „Das fand ich damals gut und ist auch heute in bestechender Form wieder aktuell.“